An einem Novemberabend berichtet die Klimaaktivistin Karla Bauszus von einem Erfolg. Mehrere Male habe sie bei der Lüneburger Lokalzeitung angerufen, erzählt sie in einer Runde von Klimaaktivisten, die glauben, dass man mit der Klimarettung am besten in der eigenen Stadt anfangen sollte. Bauszus wollte, dass die Zeitung über die nächste Ratssitzung der Hansestadt berichten sollte. Denn als Bürgerin hatte Bauszus sich vorgenommen, eine Frage zu stellen: "Welche Fraktionen unterstützen das vom Arbeitskreis Klimaneutralität eingeforderte Budget für Klimaschutzmaßnahmen?" Da wäre es aus Bauszus' Sicht schade gewesen, wenn niemand die Antworten mitbekommen hätte. Noch aus der Sitzung berichtete ein Reporter der "Landeszeitung für die Lüneburger Heide".
Später legt die Zeitung nach. In einem Kommentar heißt es, die Fragen hätten die Kommunalpolitiker gepiesackt und "beschlossene Klimaziele wieder ins Gedächtnis gerufen". "Das war richtig gute Berichterstattung", freut sich Bauszus in der Runde mit den anderen Lüneburger Aktivisten.
So wie in der Hansestadt gibt es kommunale Klimaaktivisten auch in Dutzenden anderen Städten und Gemeinden. Die Berliner Nichtregierungsorganisation Local-Zero unterstützt sie. "Was kannst du schon für das Klima tun?", fragt die Initiative auf ihrer Internetseite und gibt die Antwort gleich selbst: "Wir machen Ort für Ort klimaneutral." Die Idee ist einfach: Aktivismus dort, wo es viel zu bewegen gibt. Einfluss nehmen auf die Kommunalpolitik, im Maschinenraum der demokratischen Bundesrepublik.
In Halle wollen die Aktivisten einen Klimaschutzrat bilden, in dem Fachleute, Engagierte und Vertreter der Stadt zusammenkommen sollen.
In Bargteheide, nordöstlich von Hamburg, fordern sie einen verbindlichen Klimaaktionsplan. Die Kommune soll spätestens 2035 nicht mehr Emissionen verursachen, als dort wieder aus der Luft aufgenommen werden.
Ein paar Kilometer weiter südlich, in der Hansestadt Lüneburg, soll das schon 2030 erreicht werden. Dort haben die Aktivisten vor zwei Jahren durchgesetzt, dass auch die Stadt dieses Ziel teilt. Jetzt geht es um die Umsetzung. An diesem Novemberabend treffen sich die Aktivisten zu ihrem "Plenum", in dem sie die Fortschritte besprechen. Im Obergeschoss eines Cafés am Rand der Altstadt sitzen sie zusammen. Unten wird Espresso geröstet, oben diskutieren eine Informatikerin, ein Lehrer, eine Notarin im Ruhestand und einige Studentinnen der Leuphana Universität, wie es schneller in Richtung Klimaneutralität gehen könnte. Am nächsten Tag sind einige von ihnen mal wieder zu Gast bei der Stadt. Mit deren Klimaschutzmanagerin treffen sie sich immer wieder - Präsenz zeigen, Hilfe anbieten, hören, was es Neues gibt.
Aus innerer Verpflichtung
Bei ihrem Treffen überlegen die Aktivisten, was sie am nächsten Tag ansprechen wollen. Bauszus notiert alles. Die 24 Jahre alte Studentin der Umweltwissenschaften schreibt an diesem Abend das Protokoll, führt durch die Tagesordnungspunkte, achtet auf den Zeitplan, bringt Ordnung in den Aktivismus. Über Demonstrationen sagt Bauszus: "Das ist nicht die Form von Aktivismus, bei der ich mich wohlfühle." Sie gehe trotzdem manchmal hin, aus innerer Verpflichtung. Aber die Ohnmacht, die Bauszus spürt, weil kein Einzelner die Klimakrise aufhalten kann, lindert das nicht. Also versucht sie es im Kontakt mit der Kommune.
Bauszus' Kommilitonin Friederike Würth, 30, hat an einem früheren Wohnort versucht, eine Klimapartei mit aufzubauen. Jetzt versucht sie stattdessen, die Parteien zu beeinflussen, die es schon gibt. Auch sie will am nächsten Morgen mit zu dem Treffen mit der Stadt. Würth sagt: "Wir haben keine Zeit mehr, das System infrage zu stellen, sondern müssen das nutzen, was wir haben." Das sieht auch Claudio Schwalfenberg so. Der 31 Jahre alte Aktivist arbeitet in der Wasserstoffwirtschaft. Seinen Job hat er sich bewusst ausgesucht. Er will Teil der Lösung sein, in dieser Menschheitskrise: "Der Klimawandel treibt mich um, seit ich 16 bin", sagt er.
Am nächsten Morgen fängt Schwalfenberg etwas später an zu arbeiten, gemeinsam mit Würth und Bauszus trifft er sich auf einen schnellen Kaffee, ein paar letzte Absprachen, damit die Gesprächszeit gleich perfekt genutzt wird, dann geht es auf zur Verwaltung, zur Klimaschutzmanagerin der Hansestadt.
Ein Raum ohne Fenster nach draußen, ein achteckiger Tisch. An der Wand eine Karte der Stadt Lüneburg. Klimaschutzmanagerin Karina Hellmann, eine Kollegin und die Aktivisten setzen sich. Es geht um die letzte Ratssitzung, um eine App, die die Stadt einsetzen möchte. Die soll die Bürger zum "Klimathon" auffordern, letztlich dazu, ökologischer zu leben. Wer dabei Fortschritte macht, bekommt kleinere Preise. Aber erst einmal müssen die Lüneburger von der Idee erfahren. "Da hätte ich sehr gerne Unterstützung von Ihnen", sagt Hellmann zu den Aktivisten.
Im Gespräch mit der Kommune loben die drei Aktivisten Hellmanns Bemühung, die Lüneburger nach ihrer Meinung zum Klimaschutzplan der Stadt zu befragen. "Uns schien die Beteiligung aber eher mäßig gewesen zu sein", sagt Schwalfenberg vorsichtig. Ob die Stadt überlegt habe, auch in Schulen für die Teilnahme zu werben? Nein, das wäre zu kompliziert, meint Hellmanns Kollegin. "Wenn Sie aber mal etwas haben, was wir dort bekannt machen sollen, melden Sie sich", bietet der Aktivist an. Dann haben die Aktivisten noch einige Rückfragen zur kommunalen Wärmeplanung und dazu, wie die Stadt ihre eigenen Fortschritte im Klimabereich auf einer Homepage darstellt. Aber das ist kompliziert, zu viel für heute. Hellmann bietet ein eigenes Treffen zu diesem Thema an. Dann verabschieden Bauszus, Würth und Schwalfenberg sich.
Manchmal auch anstrengend
Mehr konkrete Ergebnisse gibt es an diesem Tag nicht. Aber den Aktivisten geht es vor allem darum, nahe an der Stadt zu sein. "Wir können sie pushen", sagt Würth, nachdem das Treffen vorbei ist.
"Ich freue mich über das Engagement, obwohl es manchmal auch anstrengend ist," sagt Karina Hellmann später im Gespräch. Den Aktivisten gehe es "nicht schnell genug mit der Verwaltung". Das versteht die Klimaschutzmanagerin. Aber als Angestellte der Stadt will sie auch, dass die Aktivisten sie verstehen. Nicht alles können Kommunen selbst entscheiden. Vieles dauert. Und nicht immer finden alle Beteiligten es gut, was die für den Klimaschutz zuständigen Abteilungen so vorschlagen. Da kommt Unterstützung aus der Gesellschaft gerade recht.
Wenn Deutschland wie gesetzlich vorgesehen bis 2045 klimaneutral werden soll, müssen Städte und Gemeinden ihren Teil dazu beitragen. Im vergangenen Jahr hat das Umweltbundesamt eine Studie herausgegeben, die zeigen sollte, wie viel Klimaschutzpotential in Kommunen steckt. Demnach können Städte und Gemeinden ein Siebtel der Treibhausgasemissionen in Deutschland beeinflussen. Kommunen besitzen und betreiben Gebäude, sie stellen Parkraum bereit oder eben auch gerade nicht. Sie bauen Radwege oder Fernwärmenetze. Sie entscheiden, wo neu gebaut werden soll, und bestimmen einen Teil der Regeln, die dabei gelten. Und sie sind ihren Bürgern näher, können Energieberater schicken, die mancher nicht ins Haus lassen würde, wenn sie direkt aus dem Bundeswirtschaftsministerium kämen.
Die Emissionsbilanz auf null bringen
Aber Kommunen haben viel zu tun. Digitalisierung, Flüchtlinge unterbringen, Schulen sanieren. Die ganze Verwaltung sowieso. Für alles jenseits der Pflichtaufgaben fehlt oft das Geld, gelegentlich auch die Phantasie.
Die Organisation Local-Zero will sie dennoch zu mehr und zu schnellerem Klimaschutz bewegen - und dafür die Aktivisten vor Ort ausbilden und unterstützen. Ines Gütt arbeitet in Berlin für die Nichtregierungsorganisation. "Wir sind kein Teil der Protestbewegung, sondern Lösungsbringer", sagt sie. "Wenn es irgendwie möglich ist, kooperativ mit der kommunalen Politik zusammenzuarbeiten, dann wählen wir diesen Weg."
Wie genau dieser Weg aussehe, hänge vom jeweiligen Ort ab. "Wenn Kommunen Lust haben, viel zu bewegen, arbeitet man anders, als wenn es erst einmal um Willensbildung geht", sagt Gütt. Die meisten Gruppen beginnen mit einem "Klimaentscheid", der die eigene Kommune verpflichten soll, die Emissionsbilanz auf null zu bringen. Von Bundesland zu Bundesland sind die Regeln verschieden, aber der Grundsatz ist einfach: Unterschriften sammeln und eine Abstimmung erzwingen, manchmal macht sich die Kommunalpolitik die Forderungen dann direkt zu eigen, dann braucht es gar keinen Gang an die Urne mehr. So wie in Lüneburg.
Lokalpolitiker gewinnen
Gütt und ihre Kollegen bieten den Aktivisten Seminare, Onlinegespräche und eine Plattform mit Informationen an. Dort gibt es auch Tipps, wie die Aktivisten mit Lokalpolitikern sprechen sollen, nach Partei sortiert. Ein Vorschlag für Schreiben an FDP-Politiker: "Das größte Risiko für die Weltwirtschaft ist langfristig die Klimakrise." Neben den Gesprächen mit der Verwaltung ist der zweite Teil des Aktivismus: Lokalpolitiker für die eigene Vorstellung von Klimaschutz gewinnen. "Die wirkungsvollsten Teams bleiben an ihren Leuten dran. Sie treffen ihren Bürgermeister, die Fraktionen, das ist ehrlicherweise klassische Lobbyarbeit", sagt Gütt.
In Lüneburg versuchen die Aktivisten, nicht nur die Lokalpolitik zu gewinnen, sondern auch den öffentlichen Druck hochzuhalten. Etwa 8000 Unterschriften hatten sie für ihren "Klimaentscheid" gesammelt - jetzt, da es um konkrete Schritte in Richtung Klimaneutralität geht, wird auch die Öffentlichkeitsarbeit komplizierter. Sie überlegen, häufiger Einwohnerfragen im Rat zu stellen. Bauszus kann sich vorstellen, einige Fraktionen schon vorab darüber zu informieren, damit die Lokalpolitiker sich vorbereiten und kundiger antworten können. Vor allem von SPD, Grünen und den Linken erwartet Bauszus Offenheit. Wenn diese Parteien sich bewegen, zwinge das auch CDU und FDP zu klareren Aussagen, hoffen die Aktivisten.
Denn bisher haben sie eigentlich nur erreicht, dass die Stadt das ehrgeizige Ziel festgeschrieben hat, die Emissionen in den nächsten sieben Jahren auf netto null zu bringen. Wie praktisch alle Kommunen in Deutschland ist aber auch Lüneburg noch sehr weit davon entfernt, das zu schaffen. Die Aktivisten von Local-Zero glauben, dass sie der Kommunalpolitik zeigen müssen, dass viele Bürger die ökologische Transformation wollen. Beharrungskräfte gebe es schließlich genug.
Wenn das Haus brennt
In der Verwaltung beobachtet man, ob die Aktivisten dabei Erfolg haben. "Bürgerinnen und Bürger können Druck auf die Politik ausüben", sagt Hellmann. Ihr ist es wichtig, dass die gewählten Politiker die Richtung vorgeben, nicht sie aus der Verwaltung. Als Klimaschutzmanagerin kann sie mehr bewegen, je deutlicher die Politik Klimaschutz fordert. Deshalb, erzählt sie, habe sie sich auch gefreut, als die Aktivisten den "Klimaentscheid" ankündigten. "Da dachte ich, jetzt bekommen wir Unterstützung." Aber es ist auch eine Herausforderung für die Verwaltung, wenn Bürger sich organisieren. Erst recht wenn sie nicht nur eine Umgehungsstraße fordern, sondern die komplette ökologische Transformation, und das in wenigen Jahren. Über das erste Treffen mit den Aktivisten sagt Hellmann, es sei "nicht gleich harmonisch" gewesen. Aber mittlerweile wisse man gegenseitig, "wie die anderen ticken". Die Aktivisten beschäftigten sich sehr genau mit dem Thema, sagt Hellmann. "Die sind nicht darauf aus, mit Krawall oder Gewalt irgendwelche Interessen durchzusetzen."
Auch andere Ortsgruppen von Local-Zero haben sich zum Ziel gesetzt, konstruktiv in ihren Kommunen mitzuarbeiten. Zum Beispiel in Rüsselsheim. Dort, zwischen Frankfurt und Mainz, hat Elmar Stork mit einem Bekannten vor etwa drei Jahren die Ortsgruppe gegründet: "Rüsselsheim-Zero" heißt sie.
"Eigentlich haben wir alle keine Zeit", sagt Stork. Das Berufsleben, die Familie. Er ist Anfang 40 und hat zwei Kinder. "Aber wenn dein Haus brennt, musst du eben löschen." Also luden sie andere Umweltengagierte ein: den BUND, den NABU, den ADFC. Zum runden Tisch im Haus der Naturfreunde kamen auch Vertreter der Stadt. "Wir gehen ganz bewusst diesen konstruktiven Weg. Wir glauben, dass wir damit schneller etwas erreichen, als wenn wir Leute vor den Kopf stoßen."
Kein Kuschelkurs
Aber Elmar Stork ist es wichtig zu betonen, dass das keinen "Kuschelkurs" bedeute. In den Forderungen sei man nicht weniger ambitioniert als zum Beispiel Fridays for Future, sagt er. Mit den anderen Aktivisten legte er einen Plan mit Klimasofortmaßnahmen vor, der vor einem Jahr im Kommunalparlament fraktionsübergreifend angenommen wurde: Förderung des Radverkehrs, Ausbau des ÖPNV, Bäume pflanzen, energetische Sanierungen. Die genaue Umsetzung arbeitet die Gemeinde noch immer aus.
Wann immer "Drucksachen in den Gremienlauf gehen", wollen Stork und seine Mitstreiter da sein. Sie melden sich in den Ausschüssen auch zu Wort, sagt eine der Aktivistinnen, "um ein bisschen Background zu geben für die Leute in der Stadtverordnetenversammlung, die das ja auch ehrenamtlich machen". Annette Berg ist 54, arbeitet eigentlich in einer IT-Firma. Aber nun sitzt sie eben immer wieder auch als Beobachterin im Planungs-, Bau- und Umweltausschuss. "Viel Papierkram" lesen sei das. Erst durch ihr Engagement habe sie "unseren demokratischen Ablauf" kennengelernt. "Unfassbar spannend", findet Berg das. Ihr gefällt, dass sie als Bürgerin zu einzelnen Punkten auf der Tagesordnung etwas sagen kann. "Wer das macht, fühlt sich nicht ohnmächtig und wird auch nicht politikverdrossen."
Bei einem Thema aber klingen Aktivisten wie Verwaltungsmitarbeiter nicht nur in Lüneburg und in Rüsselsheim verdrießlich: beim Geld. Klimaschutz kostet, und viele Kommunen sind klamm. Auf höherer Ebene wird festgelegt, welche Leistungen die Kommunen erbringen müssen. Für solche Pflichtaufgaben gibt es dann entsprechend Geld. Aber der Klimaschutz als Ganzes ist bisher keine kommunale Pflichtaufgabe. Sobald Kommunen sparen müssen, bleibt ihnen wenig anderes übrig, als in diesem Bereich zu knausern, dagegen kommt auch kein "Klimaentscheid" an. Dabei wollen viele Kommunen gerade beim Klimaschutz nicht kürzen, viele merken jetzt schon, wie hoch auch die Kosten für Nichthandeln sind. Im Sommer ist es in den Städten zu heiß, plötzlichen heftigen Niederschlag kann die vorhandene Infrastruktur nicht aufnehmen. Flächen entsiegeln, Seniorenwohnanlagen klimatisieren oder den Hochwasserschutz ausbauen, das alles ist teuer. Der Deutsche Städtetag schlägt vor, den Kommunen ein "Klimabudget" zu überlassen. Bund und Länder sollen das langfristig finanzieren. Der Bayerische Städtetag forderte schon vor einem Jahr, Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe anzuerkennen.
In Niedersachsen setzt sich die Lüneburger Klimaaktivistin Karla Bauszus auf Landesebene genau dafür ein. Neben verschiedenen Local-Zero-Gruppen gibt es mit Niedersachsen-Zero auch eine Gruppe, die in Hannover unter anderem dafür lobbyiert, die Kommunen besser auszustatten. Kurz vor Weihnachten hat der niedersächsische Landtag eine Novelle des Klimaschutzgesetzes beschlossen, das den Kommunen mehr Stellen für ihr Klimaschutzmanagement in Aussicht stellt. In einer Pressemitteilung lobt Niedersachsen-Zero die Reform, für "effektiven Klimaschutz" reiche das aber noch nicht aus.
Auch im hessischen Rüsselsheim begrenzt die ziemlich leere Kasse den klimapolitischen Spielraum. Trotzdem sehen die Aktivisten Chancen, schnell viel mehr zu erreichen. Die Stadt bekommt einen neuen Oberbürgermeister. Der CDU-Politiker Patrick Burghardt übernimmt das Amt zum Jahreswechsel. Die Leute von Local-Zero haben schon mit ihm gesprochen.
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