Eine Plattform für den Fortschritt

Wie LocalMonitoring eine Win-Win-Situation für Bürger:innen und Kommunen auf dem Weg zur Klimaneutralität schafft

Auch die ambitioniertesten Kommunen werden auf dem Weg in die Klimaneutralität zuweilen ausgebremst. LocalZero-Teams haben deshalb LocalMonitoring entwickelt. Die Plattform hilft dabei, den Fortschritt abzubilden und Hürden aus dem Weg zu räumen.

Ehrenamt LocalZero / Klimaentscheide
29.02.2024
Markus Sailer

Keine Blaupausen für Klimaneutralität

Eine Stadt klimaneutral machen – wie geht das? Ganz Deutschland soll laut dem 2019 erlassenen Klimaschutzgesetz spätestens 2045 klimaneutral sein. In der besten aller Welten gäbe es nun einen Masterplan, wie das Land dieses Ziel erreichen will – nicht nur bei den ganz großen Baustellen wie der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende, sondern auch in den rund 10.000 Kommunen (2.056 Städten und 8.697 Gemeinden) des Landes.

Vison München als klimaneutrale Stadt der Zukunft
Wie sieht die klimaneutrale Stadt der Zukunft aus? Standards gibt es keine - aber viele Visionen, wie hier für München. / Credits: Reinventing Society & Wire Collective (CC BY NC SA 4.0)

Doch diesen Masterplan gibt es nicht, weder für den Bund noch für die Kommunen, was dazu führt, dass Deutschland von einem Flickenteppich der Klimaneutralitätsbestrebungen überzogen ist: Manche Gemeinden haben beschlossen, bereits 2030 klimaneutral zu werden, andere bis 2035, 2038, 2040 oder 2045 – und weder ist standardisiert, was "klimaneutral" genau bedeutet, noch welche Maßnahmen eine Stadt dafür in welcher Reihenfolge ergreifen sollte: Hat eine autofreie Innenstadt Priorität oder sollte schleunigst Fotovoltaik auf den Dächern installiert werden? Und wird das Methan der Kühe in der Landwirtschaft eigentlich mit eingerechnet? Ebenso ungeklärt ist oft, mit welchen finanziellen Mitteln diese Maßnahmen bezahlt werden können oder welche Verwaltungsstrukturen dafür nötig sind. Es ist zum Beispiel nicht einmal selbstverständlich, dass jede Kommune eine:n fest angestellte:n Klimaschutzmanager:in hätte.

Es gibt also keine Blaupause dafür, wie man eine Stadt klimaneutral umgestalten kann. Jede Verwaltung muss hier ihren eigenen Weg finden. Auch die Teams von LocalZero, die in den letzten vier Jahren große Erfolge eingefahren haben, sahen sich mit diesem Problem konfrontiert. Mehr als 40 Städte und Gemeinden mit mehr als 4,5 Millionen Einwohner:innen haben dank ihnen bereits beschlossen, einen Klima-Aktionsplan zu entwickeln, mit dem Klimaneutralität bereits bis 2035 oder sogar früher erreicht werden soll. Die Kommunen erkennen damit an, dass eine Frist bis 2045 viel zu spät ist, um das Abkommen von Paris zu erfüllen und die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Doch: Nach dem großen Erfolg der LocalZero-Teams stellt sich für die Ehrenamtlichen, die sich ihr Klima-Knowhow meist neben Arbeit, Freizeit und Familie erarbeiten, die nächste Frage: Wie sind diese Klima-Aktionspläne zu beurteilen? Und: Wie lässt sich bemessen, wie erfolgreich eine Kommune ihren sie umsetzt?

Eberbach macht Schule

Wie sich in vielen Kommunen zeigte, geraten die Bestrebungen in Richtung Klimaneutralität gerne mal ins Stocken, auch wenn sich das Stadtparlament oder der Gemeinderat mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hat. Diese Erfahrung machte auch das Team der Klimainitiative Eberbach in Baden-Württemberg. Nachdem die Stadt ein Jahr nach dem Grundsatzbeschluss für Klimaneutralität bis 2035 noch keine Zwischenbilanz vorgelegt hatte, brachte die Initiative selbst einen fundierten und ausgesprochen übersichtlichen Klimabericht heraus, der Antworten auf essenzielle Fragen gab: Wurde genügend Personal eingestellt? Wie weit ist das Mobilitätskonzept gediehen? Wo steht die Wärmeplanung? Liegen Neubau-Leitlinien vor? Der Bericht wirkte als starker Ansporn für die Kommunalpolitik, der Klimaschutz in Eberbach bekam wieder Rückenwind.

Klimainitiative Eberbach
Die Klimainitiative Eberbach entwickelte den ersten Klimabericht, die Inspiration für LocalMonitoring / Credits: Klimainitiative Eberbach

"Der Erfolg der Eberbacher war für uns eine Initialzündung," sagt Philipp Nuske, Projektmanager in der LocalZero-Zentrale. "Gemeinsam mit anderen LocalZero-Teams haben wir beschlossen, das Prinzip der Fortschrittsdokumentation zu systematisieren. Als "Monitoring" sollte es in möglichst vielen Städten umgesetzt werden können, um den Weg zur klimaneutralen Stadt zu begradigen."

Eine Plattform für alle

So entwickelte sich eine weitere Erfolgsgeschichte, wie sie für LocalZero typisch ist: Ein Team stößt auf dem Weg zur Klimaneutralität auf eine Hürde, mit der auch viele andere zu kämpfen haben; es entwickelt einen Lösungsansatz - und mit der geballten Kraft des Netzwerks entsteht daraus ein Instrument, das bundesweit eingesetzt werden kann.

Projektmanager Philipp Nuske
"Das Ziel war eine einfach bedienbare Plattform für die LocalZero-Teams:" Projektmanager Philipp Nuske

Nach dem Prinzip des Eberbacher Klimaberichts entwickelten Ehrenamtliche "Pilot-Teams" aus Bargteheide, Bremen, Lüneburg und München gemeinsam mit Expert:innen der LocalZero-Zentrale innerhalb eines halben Jahres ein Monitoring-Tool. "Das Ziel war," sagt Philipp Nuske, "dass die "LocalZero-Teams eine einfach bedienbare Plattform erhalten, die ihren Mitbürger:innen zeigt, welche Stationen auf dem Weg zur Klimaneutralität wichtig sind und wie gut ihre Kommune dabei vorankommt."

"Es war das agilste Projekt in dem ich je arbeiten durfte."

IT-Lead Mathias DeRiese

Die technische Seite wurde von ehrenamtlichen Programmierer:innen entwickelt, die ebenfalls übers ganze Land verstreut waren. "Die Arbeit mit diesem neuen Team war enorm spannend und sehr befriedigend," so Mathias De Riese, der die Programmierung koordinierte. "Wie haben alle viel Neues gelernt und sehr effizient mit den Pilot-Teams zusammengearbeitet. Es war das agilste Projekt in dem ich je arbeiten durfte."

Ende September 2023 folgte dann die große Premiere. Auf https://monitoring.localzero.net/ ist seitdem für die Großstadt München zum Beispiel zu sehen, wie der Ausbau der Elektro-Ladeinfrastruktur vorankommt oder dass die Fernwärme-Umstellung auf 100% Geothermie noch viele Fragen aufwirft. Eine schnelle Übersicht über den Stand der Transformation bietet dabei ein vierfarbiges Ampelsystem. Es zeigt auf einen Blick, wie viele der untersuchten Vorhaben abgeschlossen, in Arbeit, verzögert oder gescheitert sind.

Die Maßnahmen-Übersicht im Monitoring von Bargteheide.
Schneller Überblick über Fortschritte und Schwierigkeiten: Die Maßnahmen-Übersicht im Monitoring von Bargteheide. / Credits: LocalMonitoring

Kurz nach München folgten Bargteheide, Bremen, Dresden und Markdorf auf der Plattform von LocalMonitoring. Neben diesen fünf Städten bereiten aktuell weitere acht Teams ihre Klimaberichte vor. Dabei lässt die Plattform den Teams viel Freiraum bei der konkreten Ausgestaltung ihrer Berichte. So bewertet Bargteheide aktuell mehr als 30 Maßnahmen, die vom Bürgerauto über innerstädtische Aufforstungen bis hin zum Ökostrom für städtische Liegenschaften reichen. Bremen dagegen beurteilt neben sechs zentralen Vorhaben für eine erneuerbare Energieversorgung auch den Klima-Aktionsplan und die Verwaltungsstrukturen der Stadt anhand von Qualitäts-Checklisten. Markdorf am Bodensee wiederum konzentriert sich zunächst einmal darauf, das Potenzial der Stadt für die Versorgung mit Strom aus Windkraft und PV-Anlagen zu dokumentieren.

Monitoring Bargteheide:
Monitoring Bargteheide: Fortschrittsübersicht über die Maßnahmen im Bereich "Mobilität" / Credits: LocalMonitoring

Ohne Top-Maßnahmen geht es nicht

Dass alle Städte Maßnahmen für die Energieversorgung monitoren, kommt nicht von ungefähr. Die Zentrale von LocalZero steht jedem Team eng zur Seite, wenn es sein Monitoring erstellt. Besonders wichtig ist dabei die Beratung zu den so genannten "Top-Maßnahmen." Damit sind Klimaschutzmaßnahmen gemeint, die besonders hohe Treibhausgaseinsparungen bringen und schnell umzusetzen sind, weshalb sie in jedem Klima-Aktionsplan enthalten sein sollten. Es ist nämlich bei weitem nicht selbstverständlich, dass Kommunen genau diese Maßnahmen in ihren Klima-Aktionsplänen priorisieren.

"Die Top-Maßnahmen sind die Mindestanforderungen, die eine Kommune erfüllen muss, um in angemessener Zeit klimaneutral zu werden:" Johannes Hofmann von LocalZero

Weil Deutschland ein großer Flickenteppich ist, auf dem jede Kommune selbst festlegen kann, wie sie ihre Klimaziele angeht, enthalten viele Klima-Aktionspläne hübsch klingende, aber wenig effektive Vorhaben, während wirklich zielführende Maßnahmen unter den Tisch fallen. "Ein "Drahteselmarkt" mag gut fürs Mobilitätsmarketing der Stadt sein," sagt Johannes Hofmann von der LocalZero-Zentrale, der das Konzept der Top-Maßnahmen mit ausgearbeitet hat. "Aber solange die Stadt keine umfassende Mobilitätsplanung erstellt, die für mehr Radwege und einen besseren ÖPNV sorgt, werden die Bürger:innen weiterhin vor allem Auto fahren."

Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit

"Die Top-Maßnahmen waren für uns eine super Orientierung, als wir die Klimamaßnahmen in Dresden analysiert haben," sagt Theo Sell aus dem Monitoring-Team von DresdenZero. "Sie haben uns geholfen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Dank ihnen steht man zu Beginn nicht vor einem riesigen Berg von Optionen, bei dem man nicht weiß, wo man anfangen soll."

Das Dresdner LocalMonitoring-Team in einem Bericht der Sächsischen Zeitzung
Das Dresdner LocalMonitoring-Team in einem Bericht der Sächsischen Zeitung / Credits: DresdenZero

Das Dresdner Team hat sein Monitoring am 20. Februar mit großem Medieninteresse vorgestellt. Hier zeigt sich eine weitere Stärke von LocalMonitoring: Die Plattform verschafft dem abstrakten Thema "Klimaneutralität" Aufmerksamkeit und hilft dabei, komplexe Fragestellungen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch in Dresden stellt das LocalZero-Team die Energieversorgung in den Mittelpunkt, darunter auch die Fernwärme. 2022 kamen seinem Monitoring-Bericht zufolge gerade einmal 1,3 Prozent der Fernwärme aus erneuerbaren Energien. Damit macht das Team auch öffentlich, dass der lokale Energieversorger noch weit von den gesetzlichen Vorgaben entfernt ist, und stellt infrage, ob das vorliegende Dekarbonisierungskonzept geeignet ist, diese Vorgaben zu erfüllen.

Perspektiven aufzeigen, Ängsten begegnen

Mit dieser Form von Öffentlichkeitsarbeit, stellt das Dresdener Team fest, könnte die Plattform LocalMonitoring eine wichtige Brücke bilden zwischen der Kommune und den Bürger:innen. "Im Gespräch mit der Umweltbürgermeisterin konnten wir deutlich machen, dass wir nicht einfach als meckernde Kontrollinstanz auftreten wollen, sondern an einem konstruktiven Miteinander interessiert sind," sagt Theo Sell. Anna Busch, die sich ebenso wie Sell seit vielen Monaten im Monitoring-Team engagiert, betont einen weiteren wichtigen Aspekt: "Wir haben auch erfahren, dass die Stadt keine Kapazitäten für Öffentlichkeitsarbeit zum Klima-Aktionsplan und dem Weg zur Klimaneutralität hat. Das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen wollen. Da können wir sehr gut mithelfen."

"Mit dem Monitoring werden viele Ängste der Bürger:innen ganz praktisch aufgefangen."

Wie wichtig es ist, die Bürger:innen mit guter Kommunikation mitzunehmen in der Klimawende und an der Transformation ihrer Stadt teilhaben zu lassen, haben die Dresdener bei ihrem Engagement immer wieder festgestellt. "Wir werden oft gefragt, was es denn bedeutet, wenn die ganze Stadt klimaneutral werden soll," erzählt Anna Busch. "Wird dann ein bestimmter Stadtteil autofrei? Müssen sich alle vegan ernähren? Mit dem Monitoring werden diese Ängste ganz praktisch aufgefangen. Die Menschen sehen, dass nicht die ganze Stadt auf den Kopf gestellt wird, sondern dass es um ganz konkrete Maßnahmen geht. Zum Beispiel können wir mithilfe von Karten zeigen, auf welchen Dächern Fotovoltaikanlagen sinnvoll sind."

Anteil erneuerbarer Energien in der Fernwärme im Monitoring von DresdenZero.
Wie es ist und wie es sein sollte: Anteil erneuerbarer Energien in der Fernwärme im Monitoring von DresdenZero. / Credits: LocalMonitoring

Als Instrument für Transparenz und Öffentlichkeit hilft LocalMonitoring also dabei, eine Win-win-Situation für Bürger:innen und Kommunen zu schaffen: Die Bürger:innen können ihre demokratischen Möglichkeiten nutzen und sich konstruktiv und wirksam beim Klimaschutz einbringen - und die Kommune erhält Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Optimierung ihres Klima-Aktionsplans. So arbeiten beide Seiten an dem gemeinsamen Ziel, so schnell und wirkungsvoll wie möglich in Richtung Klimaneutralität zu steuern.

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