Wo bleibt die Mitmach-Wende?

Immer mehr Bürger wollen die Energiewende selbst in die Hand nehmen. Dafür brauchen sie einen gesetzlichen Rahmen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat den Referentenentwurf eines „Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor“ als einen Teil des Osterpakets präsentiert. Ist das nun der große Wurf oder ein Klein-Klein? Und welche Spielräume eröffnet das Paket jenen Akteuren, die eine immer tragendere Rolle in der Energiewende haben werden: Bürger:innen, Kommunen und Mittelstand?

Klimapolitik Energie Gesetzgebung
18.03.2022

Zum Hintergrund: Warum die Energiewende unabdingbar ist

Wer die Neuigkeiten aus dem BMWK richtig einordnen will, braucht ein Grundverständnis der Problematik. Der Ukraine-Krieg und die hohen Gas- und Spritpreise führen uns deutlicher denn je vor Augen: Aktuell befindet sich Deutschland im Würgegriff einer auf fossile Energieträger ausgerichteten Energieversorgung. Ohne große Einschnitte wird es nicht gelingen, uns der Abhängigkeit von wenigen Staaten und Konzernen zu entwinden. Umso dringender brauchen wir die Energieunabhängigkeit mit Hilfe der Erneuerbaren. Die Abkehr von Öl, Gas und Kohle ist vor allem eine Frage des Klimaschutzes. Sie ist aber auch eine Frage der politischen Sicherheit und eine Stellschraube für die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Alle drei Aspekte sind ineinander verzahnt.

Überall verfügbar: Erneuerbare als Lösung

Die Lösung ist klar: Wir brauchen den zügigen Ausbau von Windkraft und Photovoltaik. Die Umstellung auf Erneuerbare speist sich aus Energiequellen, die bei uns in jedem Dorf, in jeder Kommune, auf jedem Hügel, Feld und See verfügbar sind. Sonne und Wind ermöglichen uns eine Energieversorgung, die bei uns stattfindet und mehr in die Fläche geht. Und die mehr in den Händen der Bürger liegt. Um die Energiewende in kürzester Zeit zu wuppen, können wir uns nicht allein auf ein zentralistisches System mit wenigen, großen Versorgern verlassen, auch dann, wenn deren Kraftwerke auf Erneuerbaren basieren. Wir brauchen daneben ein System aus vielen kleinen, über die ganze Bundesrepublik verteilten Versorgungszellen, die uns mit Energie aus Windkraft und Photovoltaik versorgen. Wir brauchen mehr „Strominseln“, also geschlossene Vor-Ort-Systeme, die aber ins große Ganze, sprich in die Übertragungsnetze eingebunden sind.

Energiewende in Bürgerhand: Die Wende auf dem Dach und im Heizungskeller

Bürger:innen, Kommunen und mittelständische Unternehmen sollten zukünftig die Rolle der Versorger mit übernehmen. Sie sollten ermutigt und gefördert werden, zum einen für den Eigenbedarf Strom zu produzieren, zum anderen, sich als lokale Erzeugergemeinschaften zusammenzuschließen, um für Mietergemeinschaften, ganze Wohnquartiere oder Gewerbegebiete zu sorgen. Die Wende muss auf dem eigenen Dach, im eigenen Heizungskeller und in der eigenen Gemeinde stattfinden. Diese direkte Teilhabe ist wichtig, damit sich die Bürger:innen vor Ort mit der Energiewende identifizieren. Denn wenn Menschen von der Energiewende profitieren, akzeptieren sie leichter, dass diese Wende sich in ihrem vertrauten Landschaftsbild niederschlägt: mit Windrädern, Photovoltaik auf Freiflächen und auf Dächern. Mit anderen Worten: Das nahe Windrad, das Strom und Wärme für das städtische Schwimmbad oder den kommunalen Kindergarten produziert, wird nicht mehr als hässlicher Spargel wahrgenommen, sondern als Zeichen von Autonomie.

Deutschland hinkt den EU-Vorgaben hinterher

Bislang hat ein Wirrwarr aus Verordnungen und Gesetzen ein “In-die-eigene-Hand-nehmen" eher behindert, als dass es eine Dynamik entfesselt hätte. Dabei ist die Erneuerbare-Energie-Richtlinie der EU von 2019 ganz klar: Bürger:innen sollen selbst erneuerbaren Strom produzieren und miteinander teilen können. Die Richtlinie ist ein Auftrag an Deutschland, die Bürger:innen in diesem Engagement zu unterstützen. Die alte Regierung ist dieser Verpflichtung nur sehr ungenügend nachgekommen. Sie hat es versäumt, Bürger:innen eine aktive Teilnahme regulatorisch zu erleichtern und finanziell schmackhaft zu machen.

Die Gesetzesvorschläge des BMWK unter der Lupe

Vor diesem Hintergrund hat sich MonitoringZero, die Fachabteilung für Gesetzes-Monitoring von GermanZero, den Referentenentwurf des Wirtschafts- und Klimaministeriums genauer angeschaut. In einem ausführlichen Reportwurde geprüft und bewertet, ob der Referentenentwurf die notwendigen Stellschrauben für mehr Bürgerbeteiligung an der Energiewende dreht: Wird die Energiewende endlich zur Mitmach-Wende? Werden Kommunen und Bürger:innen künftig von großen Windparks vor ihrer Haustür mitprofitieren?

Die Antwort auf diese Fragen lautet: Im Kleinen gehen Elemente des Entwurfes in die richtige Richtung, aber der große Wurf für eine Energiewende, die in Bürgerhand liegt, bleibt aus. Der Referentenentwurf enthält zwar mehrere Gesetzesänderungen, die darauf zielen, die Beteiligung von Bürger:innen und Kommunen an der Energiewende zu stärken. Doch ein ganzheitliches Konzept für mehr Bottom-up-Bewegung fehlt weiterhin. Das zeigt sich vor allem an zwei Vorschlägen.

Leichterer Zugang zur EEG-Förderung für Bürgerenergie

Einer davon betrifft Bürgerenergiegesellschaften. Diese sollen zukünftig nicht mehr am Ausschreibungsverfahren für die EEG-Förderung teilnehmen müssen, sondern ohne Weiteres eine Förderung beanspruchen können. In anderen Worten: Weniger Papierkram, weniger Bürokratie. Damit wird es für Erzeugergemeinschaften von Bürger:innen einfacher, finanzielle Förderung für den Betrieb gemeinsamer Wind- und Solaranlagen zu bekommen. Bisher mussten sie erst ein kompliziertes und risikobehaftetes Verfahren durchlaufen, was viele Bürger:innen abgehalten hat, gemeinsame Projekte anzustoßen. Der gemeinschaftliche Bau und Betrieb von Wind- und Solaranlagen wird also unterstützt. So weit, so gut.

Vertane Chance “Energy Sharing"

Doch die Möglichkeit, diesen gemeinschaftlichen erzeugten Strom auch als Gemeinschaft zu verbrauchen, wird weiter stranguliert. Nach wie vor fallen – aus unserer Sicht unberechtigte – Abgaben und bürokratischer Aufwand an, wenn die Mitglieder lokaler Erzeugergemeinschaften ihren Strom an sich selbst verteilen wollen. Diese ergeben sich daraus, dass sich Bürgerenergieprojekte in das bestehende Wirrwarr des Energierechts und die darin vorgesehenen Verbrauchswege einpassen müssen anstatt von Hürden befreit zu werden. Das läuft der oben genannten Erneuerbare-Energie-Richtlinie der EU zuwider, nach der die EU-Mitgliedstaaten einen günstigen Rechtsrahmen für lokale Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften schaffen sollen, um Menschen zu einem solidarischen “Energy Sharing" zu ermutigen.

Wirtschaftliche Wertschöpfung muss vor Ort bleiben

Eine zweite Gesetzesänderung im Referentenentwurf betrifft die finanzielle Beteiligung von Kommunen an den Erträgen großer Windkraft- oder Photovoltaikparks. Hier ist eine marginale Erweiterung vorgesehen. Worum geht’s?: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz erlaubt Betreiber:innen von großen Windenergie- und Freiflächen-PV-Anlagen auf freiwilliger Basis einen bestimmten Betrag an die Kommunen zu zahlen, die sich im direkten Umfeld der Anlagen befinden. Durch die Zahlungen soll bei den kommunalen Behörden und der lokalen Bevölkerung die Bereitschaft gesteigert werden, den Anlagenbau vor Ort mitzutragen.

Es geht also um Akzeptanzsteigerung, und – mittelbar – um eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Denn mehr Akzeptanz in der Bevölkerung bedeutet weniger Widersprüche und Klagen von Bürger:innen und Bürgerinitiativen, die den Bau verzögern. Doch dieser Ansatz birgt einen unfairen Gedanken: Er nimmt Bürger:innen allein als Problemfaktor war. Dabei wäre eine nachhaltige Beteiligung der betroffenen Kommunen an Einnahmen, die vor Ort generiert werden, nur fair. Um eine echte lokale Beteiligung an der Wertschöpfung zu schaffen, hätten Anlagenbetreiber:innen zur finanziellen Beteiligung der Kommunen verpflichtet werden müssen. Einer reinen Freiwilligkeit haftet das Geschmäckle an, den Kommunen müsste man wie einem Esel eine Karotte hinhalten.

Unsere Einschätzung, unser Rating

In unserem MonitoringReport haben wir den Referentenentwurf mit einem Rating versehen und geben ihm die Wertung C – inkohärent. Der Grund: Die einzelnen Gesetzesänderungen sind im Kleinen sinnvoll. Das im Koalitionsvertrag erklärte Ziel, Bürgerbeteiligung an der Energiewende stärken zu wollen, erfüllt der Referentenentwurf aber noch lange nicht. Insoweit ist der Entwurf inkohärent. Gegen diesen Vorwurf ließe sich einwenden, die neue Bundesregierung habe nicht genug Zeit gehabt, um „den großen Wurf“ auf die Beine zu stellen.

GermanZero hat bessere Gesetzesentwürfe ausgearbeitet

Überzeugend ist dieser Einwand nicht, denn GermanZero hat mit seinem 1,5-Grad-Gesetzespaket den Beweis geliefert, dass es anders und besser geht. Unser Gesetzespaket enthält ein fertiges Energiegesetzbuch, in dem Bürger:innen-Energiegemeinschaften eine zentrale Achse bei der Energiewende sind. In diesem Energiegesetz haben wir auch den zweiten Aspekt schon integriert, nämlich große Anlagenbetreiber:innen dazu zu verpflichten, Kommunen an ihren Einnahmen finanziell zu beteiligen. Für seinen nächsten Entwurf sollte sich das BMWK unser Gesetzespaket ruhig genauer anschauen!

MonitoringZero Report 2022/1: "Dezentrale Energiewende & Bürgerbeteiligung im Referentenentwurf zur Reform des EEG"

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Titelbild: Thomas Richter/unsplash