Am 7. Dezember ist die Ampel-Regierung seit einem Jahr im Amt. Es häufen sich naturgemäß Rückblicke und Bilanzen. Haltungsnoten werden verteilt. Krisenbewältigungskompetenz beurteilt. Es wurde ja auch vieles geschafft. Vom Krisenmodus der Corona-Zeit wurde die Koalition direkt in die Megakrise des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gestürzt. Viel ist in den Bilanzen von der Zeitenwende die Rede, die Olaf Scholz am 27. Februar verkündet hat. Und von den hunderte Milliarden schweren Hilfspaketen und Sondervermögen, mit denen Deutschland durch die Krisen navigiert wird.
Doch die wichtigste Bilanz nach einem Jahr Ampel-Regierung kristallisiert sich dieser Tage in einem Bild: junge Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung nicht anders zu helfen wissen, als sich auf Autobahnen und am Berliner Flughafen festzukleben. Weil die Erderhitzung als größte Bedrohung unserer Zeit wieder in den Hintergrund gedrängt wurde. Und weil die Bundesregierung im vergangenen Jahr keine umfassende Antwort auf diese größte Krisen von allen geliefert hat.
Ein anschwellender Chor zivilgesellschaftlicher Kräfte und staatlicher Institutionen wird von der Regierung unter Führung eines selbst titulierten "Klimakanzlers" geflissentlich ignoriert.
Unabhängig davon, wie umstritten die Aktivist:innen der Letzten Generation auch sein mögen: Ihre Stimmen sind nur die lautesten in einem anschwellenden Chor zivilgesellschaftlicher Kräfte und staatlicher Institutionen, den die Regierung unter Führung eines selbst titulierten "Klimakanzlers" geflissentlich ignoriert. Angefangen beim Weltklimarat IPCC, der mit jedem seiner Berichte die Gewissheit kommender Klimaschäden weiter erhärtet, über die breite Bevölkerung, die Umfragen zufolge nicht nur ein Tempolimit wünscht, sondern auch ehrgeizigere Klimaschutzziele, bis hin zu den bundeseigenen Institutionen wie dem Umweltbundesamt oder dem Bundesrechnungshof, der bemängelt, dass die Wirkung von milliardenschweren Klimaschutzmaßnahmen schlicht nicht belegt ist.
Was braucht es noch, damit die Verantwortlichen ihrer Pflicht nachkommen, die Freiheit künftiger Generationen zu schützen, an die das Bundesverfassungsgericht sie erinnert hat?
Die immer noch lauter werdenden Forderungen und Mahnungen an die Verantwortlichen in der Politik speisen sich aus drei Quellen: Erstens folgt die Regierung in ihrer Klimapolitik einem unzureichenden Ziel, zweitens hat sie keine Gesamtstrategie, um dieses oder überhaupt ein Ziel zu erreichen und drittens fehlt ihr der Mut unangenehme Entscheidungen zu treffen und bei der dringend nötigen Transformation voranzugehen.
Der Bundesregierung fehlt das klare Ziel: die Einhaltung des Restbudgets
Im Klimaschutzgesetz ist verankert, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll. Woran sich dieses Datum bemisst, ist allerdings unklar: Was ist die wissenschaftliche Grundlage dafür? Warum nicht 2040, 2044 oder 2046?
Für GermanZero ist jedoch klar: Damit Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze leisten kann, darf unser Land nur noch 3 Gigatonnen an Treibhausgasen emittieren. Dafür ist es nötig, dass wir schon Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 anstreben.
Die 3 Gigatonnen ergeben sich als Deutschlands Anteil am "globalen Restbudget". Dieser Begriff gibt an, wie viele Treibhausgase die Menschheit höchstens noch in die Atmosphäre ausstoßen darf, um die Erderhitzung auf 1,5°C zu begrenzen. Anfang 2022 waren das, basierend auf Daten des Weltklimarats IPCC, rund 460 Gigatonnen. Teilt man jedem Menschen auf der Erde ein gleich großes Stück dieses Restbudgets zu, bleiben für Deutschland mit seinen 84 Millionen Einwohnern rund 3 Gigatonnen.
Auch das Bundesverfassungsgericht fordert in seinem Beschluss vom 24. März 2021 eine an einem Restbudget ausgerichtete schnelle Reduzierung von Treibhausgasemissionen:
"Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgt, dass nicht einer Generation zugestanden werden darf, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine – von den Beschwerdeführenden als „Vollbremsung“ bezeichnete – radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben schwerwiegenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde."
Angesichts von deutschen Treibhausgasemissionen von zuletzt 760 Megatonnen im Jahr 2021 sind schnelle Emissionsreduktionen notwendig, denn andernfalls ist das deutsche Restbudget von 3 Gigatonnen bereits in wenigen Jahren ausgeschöpft. Die Position von GermanZero ist daher, dass Deutschland spätestens 2035 klimaneutral sein muss. Alle Emissionen, die bis dahin anfallen und das Restbudget überschreiten, müssen über Treibhausgassenken und internationalen Ausgleich kompensiert werden.
Mit den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Maßnahmen würde Deutschland dagegen auf 7,9 Gigatonnen bis 2045 zusteuern. Die Bundesregierung darf sich nicht damit herausreden, dass sie Einsparungen weiter nach hinten schiebt oder in großem Maßstab kompensiert. Reduktionsschulden in eine unbestimmte Zukunft zu verlegen, bedeutet, dass nicht schnell genug gehandelt wird. Die Regierung nimmt damit in Kauf, dass sich Katastrophen durch Extremwetterereignisse (z. B. Starkregen oder Hitzewellen) auch in Deutschland häufen werden.
GermanZero fordert deshalb, das deutsche Restbudget von 3 Gigatonnen ins Klimaschutzgesetz mit aufzunehmen. Von der E-Auto-Ladeinfrastruktur bis zum Turbo bei den Erneuerbaren Energien muss die Bundesregierung jede ihrer klimarelevanten Maßnahmen an einer Frage messen: Trägt sie ausreichend dazu bei, dass wir dieses Budget nicht überschreiten?
Es fehlt die Gesamtstrategie
Der Bundesregierung fehlt jedoch nicht nur ein klares Ziel, auf das sie hinarbeiten würde, sondern auch ein solider Fahrplan, wie Deutschland seine Emissionen in der verbleibenden knappen Zeit auf null bringen kann.
Für eine tragfähige Null-Emissions-Strategie darf Klimaschutz nicht mehr nur einem Ressort zugeordnet sein, sondern muss Querschnittsaufgabe aller Ministerien sein. Alle Gesetzesvorhaben müssen auf ihren Beitrag zur Emissionsreduktion hin geprüft werden. Die Ampel selbst hat im Koalitionsvertrag dafür den „Klima-Check“ vorgesehen. Auch ein Jahr nach Antritt der Regierung ist völlig offen, was aus diesem wichtigen Kontrollinstrument wird.
Anstelle einer Gesamtstrategie für alle Sektoren sehen wir nur Flickwerk, das in jeder Krise aufs Neue auseinanderfliegt, weil seine Teile nicht ineinandergreifen und es von keinem verbindlichen Ziel zusammengehalten wird.
Eine schnell wirksame Null-Emissions-Strategie muss weiterhin die großen Einsparungspotenziale sowie Quick Wins prioritär behandeln und wechselseitige Abhängigkeiten und Synergieeffekte zwischen den Sektoren berücksichtigen, um Emissionen möglichst schnell und möglichst stark zu mindern. Was wir stattdessen bislang von der Bundesregierung sehen, ist jedoch nur Flickwerk: Beschleunigter Ausbau Erneuerbarer Energien ja, aber zugleich ein Aufbau massiver Überkapazitäten an LNG-Infrastruktur; Förderung von E-Mobilität ja, doch milliardenschwere Dieselsubventionen bleiben erhalten; Sofortprogramm im Verkehrssektor ja, aber statt effektiver ordnungsrechtlicher Maßnahmen fast ausschließlich Push-Maßnahmen (z.B. Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Autos), die höchstens langfristig und mittelbar Emissionen reduzieren.
Dieses Flickwerk fliegt in jeder Krise aufs Neue auseinander, weil seine Teile nicht ineinandergreifen und es von keinem verbindlichen Ziel zusammengehalten wird. Ein ums andere Mal fällt die Langzeitkrise der Erderhitzung vermeintlich dringenderen Problemen zum Opfer.
So kommt es, dass infolge des Kriegs in der Ukraine Milliarden in fossile Subventionen wie den Tankrabatt fließen und LNG-Terminals aufgebaut werden, die den langfristigen Verbrauch von Erdgas zementieren. Stattdessen sollte mit Hochdruck daran gearbeitet werden, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Allein durch mehr Energieeffizienz und Wärmedämmung im Gebäudesektor könnte der Heizbedarf in Deutschland so weit reduziert werden, dass die geplanten landseitigen Terminals für Flüssiggasimporte unnötig wären.
Unsere Position ist deshalb: Die Bundesregierung braucht einen integrierten Masterplan wie das 1,5-Grad-Gesetzespaket von GermanZero, in dem Klimamaßnahmen in einem Sektor mit den Maßnahmen in anderen Sektoren zusammenwirken und auf das eine relevante Ziel einzahlen: Null Emissionen bis 2035. Eine Strategie, die Stromnetz und Häuserbau, Ökolandwirtschaft und Kita-Speisepläne, Mobilität auf dem Land und das Grün in den Städten zusammendenkt.
Die Bundesregierung braucht den Mut, unangenehme Entscheidungen zu treffen und bei der Transformation voranzugehen
Die Transformationder Gesellschaft hin zur Klimaneutralität ist unvermeidlich und sie muss sehr schnell erfolgen, damit wir überhaupt noch eine Chance haben, die 1,5-Grad-Grenze zu halten. Die dafür nötigen Maßnahmen bringen Einschränkungen in manchen Bereichen, aber auch Gewinne in mit sich. Bislang aber scheut die Politik davor zurück, den Bürger:innen die Wahrheit zuzumuten: Um 1,5-Grad-konform zu leben, muss es in manchen Bereichen unseres Lebens und Wirtschaftens ein "weniger von…" geben. Das macht allein ein Blick auf unseren Ressourcenverbrauch deutlich: Würden alle Menschen so leben wie wir in Deutschland, wären dafür drei Erden nötig.
Unsere Regierung, braucht also den Mut, diese Wahrheit auszusprechen. Denn als Alternative bleibt nur: verdruckst in die Klimakatastrophe zu steuern, die unser Leben weit drastischer beeinträchtigen wird.
Der Kanzler und seine Minister:innen müssen sich daher beherzt an die Speerspitze der Transformation zu einer fossilfreien Gesellschaft stellen und für die nötigen Maßnahmen werben. Ohnehin ist „weniger von manchem“ nicht mit einem Verlust an Lebensqualität zu verwechseln. Es gibt auch viel zu gewinnen, angefangen bei der Freiheit von der Angst vor menschheitsgefährdenden Klimakatastrophen bis hin zu mehr Grün und saubere Luft in den Städten. Von neuen Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland ganz zu schweigen.
Im Grunde ist eine "Vollbremsung" nötig, die einen neuen Politikstil erfordert: Nicht nur Anreize, sondern auch Regulierungen.
Angesichts der bislang viel zu langsamen Emissionsminderungen, insbesondere in der Industrie und im Verkehrssektor, ist im Grunde eine "Vollbremsung" nötig, die einen neuen Politikstil erfordert: Nicht nur "Pull-" sondern auch "Push-Maßnahmen". Nicht nur Anreize, sondern auch Regulierungen. So darf man im Verkehrssektor zum Beispiel nicht nur Radwege bauen und hoffen, dass genügend Autofahrer aufs Rad umsteigen. Um den Verkehr mit Sicherheit rechtzeitig fossilfrei zu gestalten, muss man auch die Neuzulassung von Verbrenner-Pkw ab 2025 beschließen.
GermanZero schlägt in seinem 1,5-Grad-Gesetzespaket eine ausgewogene Mischung von Pull- und Push-Maßnahmen vor. Eine kleine Auswahl unserer wichtigsten Vorschläge umfasst:
Energiegemeinschaften und CO2-Preis-Reform
Im Energiebereich braucht es zum Beispiel die Ermöglichung einer unbürokratischen Vor-Ort-Versorgung in Energiegemeinschaften und eine Reform des CO2-Preises zur Internalisierung der Kosten von Klimaschäden. Energiegemeinschaften sind ein zentrales Standbein der Energiewende, mit dem Potenzial, künftig rund 90% der deutschen Haushalte mit Strom zu versorgen. Hinzu kommt: Wo Windräder von Bürger:innen betrieben werden, sind diese an den Profiten beteiligt, anstatt gegen die "Verspargelung der Landschaft" zu demonstrieren. Und ein hoher CO2-Preis, der die Umweltschäden von Kohle, Öl und Gas widerspiegelt, lässt sich in Verbindung mit einer Pro-Kopf-Klimaprämie sogar zum finanziellen Gewinn für Familien, Alleinerziehende und Menschen mit geringem Einkommen gestalten.
Deutschlandtaktgesetz für Regionen, Verbrenner-Ausstieg 2025
Gesetzlich festgelegte Mindeststandards für Verkehrsanbindungen, mit denen auch Menschen in ländlichen Regionen bedarfsorientierte mobil sein können, machen einen frühen Abschied vom Verbrenner-PKW auch für all jene verschmerzbar, die bislang darauf angewiesen sind. GermanZero schlägt ein Deutschlandtaktgesetz auch für im Wortsinne abgehängte Regionen vor, sowie ein Erstzulassungsverbot für PKW mit Verbrennungsmotor ab 2025.
Sanierungspflichten und Einbaustopp für Öl- und Gasheizungen jetzt
Auch ein Einbauverbot für Öl- und Gasheizungen ab 2023 und Sanierungsverpflichtungen für die am schlechtesten gedämmten Gebäude mögen für eine bevorzugt mit Förderprogrammen arbeitende Politik drastisch klingen. Doch auch hier gilt: Das Ziel von netto null Emissionen ist nicht zu erreichen, wenn die Hauptursachen für zu hohen fossilen Verbrauch nicht adressiert werden. Zudem schützt ein frühzeitiges Einbauverbot Eigentümer:innen vor Fehlinvestitionen, da Heizen mit fossilen Brennstoffen aufgrund der steigenden CO2-Bepreisung zunehmend teuer werden wird. Für eine sozial ausgewogene Klimawende im Baubereich ist es zudem wichtig, Mieter:innen finanziell ausreichend zu unterstützen, unter anderem, durch eine gerechte Verteilung der Kosten energetischer Sanierungen zwischen Vermieter:innen, Mieter:innen und Staat.
Fazit
Die Ampel-Regierung hat ein an Dramatik schwer zu übertreffendes erstes Jahr hinter sich. Den Aufbruch in eine klimaneutrale Zukunft hat sie versäumt. Für ihre noch bleibenden drei Jahre kommt es nun darauf an, die Weichen für die Transformation hin zu einer Gesellschaft zu gestalten, die frei ist von Kohle, Öl und Gas. Was sie dafür braucht, ist ein klares Ziel, einen durchdachten Fahrplan, den Mut, die nötigen Maßnahmen umzusetzen, und die Zuversicht, dass die Mehrheit der Menschen ihre Entscheidungen mitträgt, wenn sie mit Überzeugung dafür wirbt.
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